Chronik zur 100 Jahrfeier

An einem Montag vor 100 Jahren , bei abnehmenden Mond im Sternzeichen des Stieres , trafen sich 41 Männer aus Großkrotzenburg im Gasthaus „ Zum Schlüssel „ .Es war der 17. Mai 1909 . Zweck des Treffens war die Gründung des Obst und Gartenbauvereins Großkrotzenburg.

Herr Bürgermeister Georg Noll und Herr Hauptlehrer Krack , der den älteren Mitglieder noch bekannt sein dürfte , hatten die Vorarbeit für diese Vereinsgründung geleistet . Man war aus Transportgründen auf dass einheimische Obst , dessen Wert man für Ernährung und Gesundheit erkannt hatte , angewiesen und wollte sowohl den Obstbau als auch die Pflege der Hausgärten in einer breiten Bevölkerungsschicht intensivieren. So entstand der Obst und Gartenbauverein nicht durch Zufall , sondern aus der Notwendigkeit , den Bedarf an einwandfreiem Obst und Gemüse zu decken.

Wer die alte Protokolle durchlist , muss erkennen , wie viel Aufklärungsarbeit in Sachen Obstbau geleistet wurde und welchen Eifer und Elan Herr Hauptlehrer Krack als 1. Vorsitzender daran setzte , den Verein voranzubringen. Im Hintergrund erkennt man immer wieder das winken von Herrn Bürgermeister Noll , der ihm als 2. Vorsitzender zur Seite stand.  Unermüdlich war  auch der damalige Kreisobstbautechniker Herr Walther .
Er war bemüht , in zahlreichen Vorträgen über

  • Obstbaumpflege
  • Obstbaumschnitt
  • Schädlingsbekämpfung
  • Düngung
  • Veredlung und Obstverwertung

das vorhandene Interesse zu festigen und die Kenntnisse zu erweitern. Die Dinge wurden nicht nur besprochen , sondern auch praktisch vorgeführt. Im Jahre 1910 kaufte der Verein die ersten Obstbäume in einer Sammelbestellung. Im gleichem Jahr erließ Herr Bürgermeister Noll in seiner Eigenschaft als Ortspolizeibehörde eine Vorschrift , wonach Obstbäume zur Bekämpfung der Schädlinge mit Obstbaumkarbolineum gespritzt werden müssen.

Immer wieder taucht der Name des Kreisobstbaumtechniker Walther in den Protokollen auf. Er führte 1911 den ersten Schnittkurs  auf dem Acker von Herrn Vogt , hinter dem heutigem Kloster durch.

Auch Frauen wurden von ihm über das einkochen von Obst – und Gemüse und über die Gewinnung von Obstsäfte in praktischen Lehrgängen unterrichtet. Immerhin haben 26 Frauen an diesen ersten Lehrgang , der 1913 stattfand , teilgenommen. Diese Aktivierung der Frauen kann als Vorläufer der heutigen Landfrauenvereinigung angesehen werden. Bei Obstausstellungen wurden neben Obst und Gemüse auch diese Arbeiten der Frauen ausgestellt und prämiert. Das beweist , dass auch die Notwendigkeit der Obstverwertung erkannt und deshalb einer breiten Bevölkerungsschicht vorgeführt wurde. Ansätze von Emanzipation machten sich damals schon bemerkbar , denn aus einem Protokoll von 1913 ist bekannt , dass sich unter den 25 Versammlungsteilnehmer 6 Frauen befanden.

Von den in der Satzung verankerten Monatsversammlungen ging man später zu Vierteljahresversammlungen über , die oft recht feuchtfröhlich gewesen sein müssen , denn in einem Protokoll steht , er – Herr Krack – wisse nicht mehr , was behandelt worden sei. Vielleicht könne sich der Schriftführer , dessen Tätigkeit bis jetzt in süßen Frieden schlummerte , besser entsinnen. Der Schriftführer jedoch , es war Her Ludwig Huth , wurde trotzdem nicht  abgewählt , weil wahrscheinlich niemand unter den Augen des so redegewandten Lehrers die Protokolle anfertigen wollte.

Zur Schädlingsbekämpfung betrieb man damals schon den Vogelschutz. Daraus erklärt sich auch ein gewisses gemeinsames Interesse mit dem Vogelschutzverein. Von der Anlegung von Futterplätzen und dem aufhängen von Nistkästen ist bereits 1912 / 1913 die Rede. Aber die chemische Industrie bot offenbar auch schon Schädlingsbekämpfung mittel an , denn 1912 wurde der Ankauf einer Handspritze für 7,50 Reichsmark erwähnt.

Diebe gab es zu allen Zeiten , deshalb stellten sich in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg 10-12 Männer für die nächtliche Bewachung des Obstes auf dem Felde zur Verfügung. 
Um zu vermeiden , dass das Obst zu früh geerntet wurde , wurde der Beginn der Obsternte jährlich durch die Ostpolizeibehörde Herr Noll  festgelegt.  Offensichtlich  waren die Ernten in Bezug auf Sorten und Qualität recht befriedigend. Das führte zur ersten lokalen Obstausstellung mit Sortenbestimmung und Prämierung der Gläser eingekochten Früchten im Jahre 1913.

Im gleichem Jahr fand in Hanau auf Kreisebene ein Obstmarkt statt , an dem sich einige unserer damaligen Mitglieder beteiligten.

Auch das gesellige Leben kam nicht zu kurz , wie ein Familienausflug über Alzenau , Wasserlos , Hörstein nach Dettingen zur Besichtigung einer Obstanlage beweist. Der Kreisverein unternahm einen Ausflug die Wartburg. Es gab auch Familienabende mit Tanz und Verkauf von selbst hergestellten Obst und Gemüsekonserven. Im Frühjahr 1914 wird erstmals ein Vortrag über Gemüseanbau im Garten erwähnt.

Dann brach im August 1914 der 1. Weltkrieg aus. Der Obst und Gartenbauverein hatte in den fünf Jahren seines Bestehens bis dahin vorbildliche Pionierarbeit geleistet. Aus Anlass des Kriegsausbruches beschloss die Mitgliederversammlung am 20.8.1914 den gesamten Kassenbestand – es waren 133 Reichsmark – als Kriegshilfe zu stiften. Außerdem wurden für die Verwundeten Obstkonserven und Obstsäfte zur Verfügung gestellt. Ein Vorgang , der für die damalige Zeit Beachtung verdient. Darüber hinaus wurden den im Felde stehenden Mitglieder wiederhold nach Versammlungsbeschluss je ein Kästchen Zigarren geschickt.

Der Auftrieb , den der Verein in den Vorkriegsjahren erreicht hatte , wurde durch den Kriegsbeginn zunächst nicht unterbrochen. Unter der Vereinsführung von Herrn Noll wurde 1915 die erste Kelter für 360 Reichsmark gekauft.  

Am Kirchweihsonntag – Mitte September – fand die erste Probekelterung unter Anleitung von Herrn Obstbautechniker Walther im Hofe von Schmied Gallus Grün – heute „Schlecker-Markt“ – statt. Bei der anschließenden gut besuchten Vortrag über die Herstellung von Apfelwein zerstreute Herr Walther die vorgebrachten Bedenken bezüglich der Qualität des Apfelweines und meinte , einen guten Essig gebe es auf jeden Fall. Mit der Beschaffung der Kelter stieg die Mitgliederzahl auf 71. Übrigens zahlte man für den Zentner Fallobst 5 Reichsmark. Das war im Jahre 1915 ein beachtlicher Preis.

Von 1915 bis 1918 zeigt das Protokoll keine Eintragungen. Zu dieser Zeit war Herr Bernhard Zeller   II , Lindenstraße , 1. Vorsitzender , dem 1918 Josef Kronenberger , Engegasse folgte.

So turbulent die Nachkriegszeit war , so stark wechselten auch die 1. Vorsitzeden
1921    Herr Nikolaus Kimmel , Breite Straße
1922    Herr Löffel , Augustastraße
1923–1925 Herr Rudolf Schmidt , Friedrichstraße 

Nun waren die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse wieder gefestigt. Krieg und Inflation waren überstanden und auch der Obstbauverein bekam wieder einen festen Halt. Herr Lehrer Oestreich übernahm den Vorsitz. Ihm stand Herr Ludwig Reinhardt , Mainstraße, für praktische arbeit , besonderst beim Keltern , tatkräftig zur Seite. Herr Oestreich brachte den Verein zu großer Blüte. Es fanden wieder häufiger Versammlungen statt , bei denen er immer einen einschlägigen , hauptsächlich über Baumschnitt , Obstbaumschädlinge oder Düngung hielt. Die Obstkonservierung wurde nicht mehr erwähnt. Sie war längst allgemeingut geworden. Für die Fachvorträge war bis dahin der Kreisobstbautechniker zuständig. Auch der Vogelschutz wurde durch Aufhängen von Nistkästen wieder praktiziert. Während in früheren Jahren eine Strafe für das Nichterscheinen in den in den Versammlungen 1923 waren es 100000 Reichsmark festgesetzt wurden , hat man jetzt unter die Versammlungsteilnehmer einige Gegenstände zur Obstbaumpflege verlost , um den Besuch zu fördern.
Ein Hinweis für die Beachtung , die der Obst und Gartenbauverein in der Bevölkerung fand , kann darin gesehen werden , dass für einen Faschingsabend in der Turnhalle , der 1927 stattfand , 350 Karten im Vorverkauf abgesetzt wurden. 

Die 1931 beschaffte und bei Herrn Bermann , Friedrichstraße aufgestellte Dosenverschlussmaschine fand hauptsächlich für Hausschlachtung Verwendung.  
Der Verein stand in voller Blüte – 128 Mitglieder – als das tausendjährige Reich in Deutschland begann. Der Vorstand wurde politisch überprüft und 2 Vorsitzende abgesetzt. Es entstand ein neuer Wortschatz. Man hatte keinen Vorsitzenden mehr , sondern ein Vereinsführer. Diese bestimmten den übrigen Vorstand. Es wurde also nicht gewählt. Man sprach nicht von Ernte , sondern von der Erzeugerschlacht. Jede Versammlung endete mit einem „dreifachen Sieg Heil“ auf den Führer und Reichskanzler. 

Die Äußerlichkeiten waren anders geworden , aber letztlich blieb es doch der alte Obstbauverein in dessen Versammlungen Herr Oestreich seine Fachvorträge hielt. Schließlich legte er 1936 sein Amt als Vereinsführer nieder. Er gab berufliche Gründe und Überlastung an. Wahrscheinlich haben in politische Gründe dazu veranlasst , denn er hielt seine Vorträge trotz angeblicher Überlastung weiterhin. Nach dem 2. Weltkrieg wurde er Ehrenvorsitzender und leite die Geschicke des Vereines schließlich erneut von 1953 bis 1969. in dieser Zeit fällt auch die Anlage des Versuchsgartens am Friedhof .
Bei den damit zusammenhängende Arbeiten hat sich Herr August Rollmann , Friedrichstraße , der auch als Gerätewart und Schriftführer unermüdlich tätig war , große Verdienste erworben. Der Obst und Gartenbauverein hat Herrn Lehrer  Oestreich viel zu verdanken.

Als Ereignis kann das 75- jähriges Vereinsjubiläum 1984 angesehen werden . Mit einem Unzug durch die Ortsstraßen präsentierte sich der Obst und Gartenbauverein der Bevölkerung.    
Im Anschluss wurde zu Ehren Herrn Oestreichs eine Linde in der nähe vom Römerkastell gepflanzt.

Ein weiterer Höhepunkt zur 75-Jahr-Feier war  die Kreisobstausstellung am 13. und 14.10.1984 im Bürgerhaus.

Nach lagen und zähen Verhandlungen mit den Gemeindegremien konnte 1984 die neugewonnenen Mitglieder ihre Kleingärten übernehmen. Viel Arbeit und Schweiß kostete , dass mit Schutt aufgefüllte Brachland zu kultivieren und in Kleingärten mit gemütlichen Gartenhäusern umzuwandeln. Die Anlage wurde 1986  eingeweiht und trug ab diesem Tag den Namen  „ Kleingartenanlage Mühlbachaue „

Seit diesem Zeitpunkt findet alljährlich der „Tag der offen Tür“ verbunden mit einem 2-tätigen Sommerfest statt. Mit diesem Sommerfest soll der Öffentlichkeit Zugang zu unseren Kleingärten gegeben und mit Absprache eine Besichtigt möglich sein.

Durch die Kleingärtner erhöhte sich die Mitgliederzahl des Vereines auf 123 Personen.  
Das Vereinleben lief in gewohnten Bahnen. So wurde im jährlichen Wechsel eine 1- Tages-Fahrt und eine 4-Tages-Ausflug durchgeführt.
Die jährliche Teilnahmen an der Kreisobstausstellung war selbstverständlich. Die Fachwarte boten öffentliche Schnittkurse an. Über sie konnten auch Obstbäume und Düngemittel bestellt werden.

In den Monaten September und Oktober lief der Kelterbetrieb in der Nebenstraße , wo jedermann gegen ein Entgeld seine eigenen Äpfel zu Saft pressen lassen konnte. 1984 kaufte sich der Obst und Gartenbauverein nach 33 Jahren eine moderne Pressen. Auch durch den technischen Fortschritt und die größere Presskraft ist die erzielte Menge an Most deutlich angestiegen , wodurch unsere Keltergäste profitierten.      

1989 gab Herr Walter Vogt seinen Vorsitz ab und Herr Victor Hendel wurden zu 1. Vorsitzenden gewählt. Allerdings konnte er aus privaten Gründen nicht direkt die Vereinsgeschäfte führen , Herr Alwin Bergmann leitete den Verein kommissarisch für 1 Jahr. In dieses Jahr fiel auch die 80-Jahr-Feier , die unter großer Teilnahmen der Bevölkerung in der alten TV-Turnhalle begangen wurde.  

1990 wurde erstmals in der Vereisgeschichte eine Frau in den Vorstand gewählt – als Kassiererin – Frau Lydia Ludwig. Die Männerdomäne war gebrochen. Aber schon nach kurzer Zeit zeigte sich , dass die Mitglieder keine bessere Wahl hätten treffen können.  

Die einzelnen Gerätschaften des Vereines waren bei verschiedenen Mitglieder untergebracht. Durch den gewinn der Kleingartenanlage bot es sich geradezu an , auf dem Gelände ein Gerätehaus mit Toilettenanlage zu bauen. Gesagt  , getan. Baupläne wurden eingereicht und in vielen Ehrenamtlichen Arbeitsstunden erstellt die Mitglieder in den Jahren 1991 und 1992 ein 6 mal 8 Meter großes , massives Gebäude , dass außerdem noch genug Platz für eine kleine Küche und Sitzgruppe bot.

1995 wurde die Kreiserntedankschau abgehalten. Schon 2 Jahre zuvor wurden die Räumlichkeiten des Bürgerhauses hierfür angemietet. Der Eingangsbereich mit den Räumlichkeiten wurde zu einer Cafeteria umgestaltet. 24 Vereine des Kreisverbandes verzauberten den Saal in ein Blumen – Obst und Gemüsemeer. Über Radieschen bis zum Riesenkürbis , vom Gänseblümchen und Orchidee war alles zu bewundern. Die Bühnengestaltung übernahm der Obst und Gartenbauverein , die Bühne wurde in einen Kleingarten mit Streuobstwiese verwandelt.    

Auch einen dank an die „Landfrauen“ die mit ihren Gartenerzeugnissen und bei der Gestaltung der Räumlichkeiten uns unterstützt haben.  

Ein riesengroßes Dankeschön muss an dieser Stelle unsern Frauen ausgedrückt werden. Über 120 selbstgebackene Kuchen wurden an diesen zwei Tagen gespendet und Verkauft.    

Obwohl die Kelterräumlichkeiten in der Nebenstraße komplett neu renoviert worden waren meldete der Vermieter Eigenbedarf an. Nach langen Überlegungen entschied sich der Vorstand den Standort seiner Kelter zu verlegen. Nachdem der Gemeindevorstand dem Erstellen einer Fertiggarage auf dem Parkplatz der Kleingartenanlage zugestimmt hatte , wurde 1997 eine Garage gekauft und Aufgestellt. Zuvor musste noch eine Bodenplatte betoniert und der Kanal verlegt werden. Diese Arbeiten wurden von unseren Mitgliedern uneigennützig bewerkstelligt. Da nun die Kelterräumlichkeit ihren Dauersitz gefunden hatte , entschied sich der Vorstand eine hochmoderne Presse zu Kaufen , diese wurde 1998 mit großem Erfolg in Betrieb genommen.

Sehr beliebt sind unsere Winterwanderungen. Oftmals nahmen bis zu 70 Personen an diesen Wanderungen teil. Eine Zwischenrast mit heißem Apfelwein , Schnäpschen und Negerküssen wurde immer mit viel Freude angenommen.      

Aus der Schilderung über den Wertegang des Obst und Gartenbauvereins Großkrotzenburg kann man ersehen , dass er sich in den 100 Jahren seines Bestehens um den Anbau und die Pflege von Obstbäumen sowie der Obstverwertung in unsere Gemeinde verdient gemacht hat.  

Immer wieder fanden sich Männer und Frauen , die sich dankenswerter Weise bemühten , die Ziele des Vereins zu verwirklichen.   Es ist nicht möglich , an dieser Stelle die Namen all der Idealisten aufzuzeigen , die den Verein in den vergangenen Jahrzehnten tatkräftig unterstützt und für das Allgemeinwohl gewirkt haben.  

Wir können ihnen nur danken , dass wir ihre Arbeit fortsetzen und den heimischen Obst und Gartenbau der jetzigen Zeit entsprechend umweltbewusst fördern und für Neuerungen stets aufgeschlossen sind.